Föhnsturm-Skitouren
im Berner Oberland
Mittwoch, 25. April 2012
3 Uhr Abfahrt Altötting – 10:30 Uhr Ankunft Sustenpassstraße.
Max, Rudi W., Peter und ich gehen noch ca. 1 Stunde die Sustenpassstraße
hinauf bis zum Hotel Steingletscher. Die Straße wird fleißig freigefräst, was
jedoch angesichts der Schneemassen noch einige Wochen dauern wird, bis sie
durchgängig ist
Über
5 Meter Schneehöhe am Sustenpass
Beim Hotel Steingletscher warnen uns entgegenkommende
Tourengeher vor den ungünstigen Verhältnissen wie Lawinenabgänge und schlechte
Sicht mit starkem Wind. Wir gehen weiter und treffen auf Christa und Rudi V.,
die schon etwas eher aufgestiegen sind. Nun sind wir am kritischen Hang und
haben Glück: die Lawine ist unten, die Sicht hat sich gebessert und der Schnee
hat sich bereits gut gesetzt. So können wir ungehindert zur Tierberglihütte
auf 2.795 m Höhe aufsteigen.
Eigentlich ist noch das Sustenhorn
auf dem Programm gestanden, aber die Windböen sind so stark, ja nehmen noch zu,
dass niemandem mehr danach zumute ist.
Die große Herausforderung kommt jedoch noch: der Gang zum
Klo bedarf größter Selbstüberwindung oder anders gesagt: größtem Drang. 50
Meter weiter und ausgesetzt, stehen die Toiletten, welche nur mit kompletter
Ausrüstung, also auch Schneebrille, Handschuhe, Stöcke zu erreichen sind. Der
Wind peitscht die Schneekristalle nur so ins Gesicht, der Abgrund ist nicht
weit.
Wir trinken relativ wenig diesen Abend, weil zum Einen niemand gerne nachts raus will auf dieses Klo und zum
Anderen der Kurs des SFR (1 € = 1,17 SFR) für uns alles doppelt so teuer macht
wie in Deutschland.
Blick
zur Tierberglihütte
Donnerstag, 26. April 2012
Der
Weiterweg zur nächsten Hütte fällt wegen starker Lawinengefahr flach. Wir gehen
aufs Sustenhorn 3.503 m.
Stürmischer
Aufstieg zum Sustenhorn
Sustenhorn von der Tierberglihütte
Der Wind tobt so stark, dass ein Fellabziehen direkt am
Gipfel nicht möglich ist. Ansonsten viel blauer Himmel und gute Sicht.
Orkan
auf dem Sustenhorn 3503m
Die Hälfte marschiert noch aufs Gwächtenhorn
gegenüber, dann treffen wir uns alle wieder in Meiringen
unten. Wir kaufen ein und beschließen morgen auf die Gaulihütte
zu gehen.
Abfahrt
nach Meiringen
In Guttannen (Richtung Grimsel)
übernachten wir im Gathaus Bären, welches wir
wärmstens empfehlen können. Die Gastleute sind sehr sehr
aufmerksam und auf unser Wohl bedacht.
Freitag, 27. April 2012
Das
gibt es in Deutschland nicht, aber in der Schweiz: um 8:21 Uhr können wir mit
der KWO-Betriebsseilbahn für 15 Fränkli bis zum Räterichsbodensee hoch fahren. Ski
anschnallen und hinauf ins schöne Bächlital, vorbei
an der Bächlitalhütte – endlos weite tolle Hänge
links und rechts – keine Menschenseele ansonsten.
Und: es wird windstill!!! Wir sind es gar nicht mehr gewohnt, aber es wird
jetzt richtig heiß und wir ziehen Kleidungsstück für Stück aus
Aufstieg
vom Grimselpass ins Bächlital
Oben am Felsriegel, den es zu überwinden gilt, warten die
Schnelleren auf die Langsameren (wer in welcher Gruppe ist verrate ich nicht,
das kann sich jeder selbst ausmalen). 3 Leitern führen schön hinauf auf 3.100 m
und auf der anderen Seite versichern Ketten den Felsen.
Ob.
Bächli-Licken 3074m
Noch eine Seillänge abseilen und schon schwingen wir
hinab und queren unterm Hienderstock nach links bis
zum nächsten Anstieg.
Abstieg
von der Ob. Bächli-Licken
3074m
Blick
zum Lauteraarhorn mit gleichnamigem Gletscher
Gipfel Hubelhorn
3244m vl. Rudi, Gudrun, Max, Peter, Rudi, Christa
Der Gipfel heißt alsbald „Hubelhorn“
und selbst auf diesen 3.244 m Höhe ist es verdächtig und unheimlich windstill.
Wir genießen.
Abfahrt
Grienbergliglescher zum Gauligleschter
und weiter zur Gaulihütte
Es folgen irrsinnig weite lange unberührte Hänge, die wir
bis zum See abschwingen. Nun nur noch 150 Hm hinauf zur noch nicht sichtbaren
Hütte und gebongt.
Denkste:
ein Hatscher über den See, ein Aufstieg und dann eine unfassbar lange Abfahrt –
mit Fellen, weil sie kann ja gar nicht sooo
lang sein. Und dann: ein gefühlt ewig langer heißer durstiger Aufstieg
auf diese Gaulihütte, welche der englische Sir vor
über 120 Jahren hier aufstellen ließ. (Kannst du dir vorstellen, wie die ersten
3 Schluck Radler nach 8½ Stunden unterwegs sein und 2.200 Hm schmecken?)
Gaulihütte 2205m
Max war schon sehr gespannt auf die Hüttenwirtin, mit der
er schon so nett telefoniert hat. Und tatsächlich, die junge Frau hat Charisma,
ein bezauberndes Lächeln und vor dem Dessert gibt es jeden Tag für alle
Hüttengäste eine Geschichte. Das hat was!
Samstag, 28. April 2012
Im
Nachhinein würde ich sagen wir waren gestern im Auge des Hurrikans, wo es ruhig
ist. In der Nacht kam er nämlich wieder – der Sturm. Wir tun so, als wär der
Bläser vom Himmel ganz normal und steigen auf das „Ankenbälli“
3.601 m. Der Christa fegts die Sonnenbrille bei einer
Böe vom Köpferl und mir schmerzen oft die
Oberschenkel, wenn eine starke Böe die aufgewirbelten Eiskristalle dagegen
schleudert. Aber man lernt zu leben mit den Widrigkeiten und schließlich hat es
blauen Himmel und tolle Fernsicht.
Aufstieg
über den Gauligletscher zum Ankenbälli
Schön
herschauen
Lang sind diese Touren hier allemal (wieder 1700 Hm),
aber der Blick in die gewaltige Eigernordwand, auf das Finsteraarhorn
oder auf den Mittelleggigrat entschädigt sehr.
Über
einen kurzen Grat geht es zum Gipfel des Ankenbälli
Ankenbälli 3601m mit Eiger im Hintergrund
Die Innenschuhe stecke ich unter die Holzbänke vor der
Hütte und halte Siesta. Bitte Peter Stunden später diese mit hineinzunehmen.
Peter schüttelt den Kopf „nur noch einer da“. Nun heißt das zuerst einmal noch
lange nicht, dass das wirklich stimmt. Nur leider schaut mich Peter mit einem
Blick an, der mir verrät, dass es kein Spaß sein kann. Weg. Sch….
Ahhh. Da, neben dem Toilettenhäusl ist er hängen
geblieben – welch Dusel!
Sonntag, 29. April 2012
In
der Nacht nimmt der Sturm immer noch zu und die ganze Hütte wackelt. Der
Gaskasten der Hütte reißt ab, die Wirtin hat so einen Sturm die letzten 8 Jahre
noch nicht erlebt. Schlechte Sicht, Regen peitscht gegen die Fensterscheiben.
Von der Hütte direkt ins Tal kann man im Winter nicht
absteigen. Die ursprüngliche Route über einen 3000er ins Rosenlauital
zu steigen, verwerfen wir auch. Nachdem Rudi morgen wieder arbeiten muss,
entscheiden wir uns nach 2-stündigem Warten auf den Rückweg über das uns schon
bekannte Bächlital.
Wir brechen um 7 Uhr auf und ich bin noch nicht unten am
See, als ich meine Handschuhe schon auswinden kann. Bald darauf kehrt die
10-köpfige französische Gruppe um und 3 weitere Skitourengeher kommen von oben
zurück und schütteln nur den Kopf.
Solange es uns Sechsen gut geht, gehen wir weiter. Der Sturm hat etwas nachgelassen.
Ich halte meine Hände mit Fingergymnastik einigermaßen warm und so stehen wir
irgendwann wieder an unserem Felsriegel. Ab 2500 m Höhe begann es zu schneien
und die Sicht noch schlechter zu werden.
Wo ist nur der Übergang? Das sieht völlig anders aus als
beim Herweg. Max navigiert uns mit GPS und nach ca. 1 Stunde Suchen haben wir
ihn endlich. Es ist unheimlich, wenn sich im Nebel immer wieder riesige
Gletscherspalten vor einem auftun und es tut gut, endlich die Steigeisen
anzuziehen und gesichert am Fixseil, das Rudi und
Peter schon gelegt haben, auf den Grat zu steigen. Drüben die Eisenleitern
wieder runter und das scheinbar Schwierigste ist geschafft.
Aber jedem von uns ist klar: es ist erst geschafft, wenn
wir unten sind. Im Schritttempo tasten wir uns im schönen Pulverschnee und mit
GPS durch die Gletscherzone hinab. Irgendwann wird die Sicht besser, die
Gletscher hören auf, die Luft wieder wärmer.
Die Seilbahn freilich ist heute am Sonntag
menschenverlassen. Doch Max entdeckt ein Telefon und telefoniert mal. Ja, der
diensthabende Mitarbeiter macht uns von der Talstation mittels Türöffner oben
auf und wir können in die Gondel einsteigen. Ganz allein. So etwas gäb’s in Deutschland nicht. Außerdem haben wir auch Glück,
weil es die erste mögliche Fahrt heute ist, nachdem der Sturm nun nachgelassen
hat.
Wir sind glücklich, dass wir alle unbeschadet wieder bei
unseren Autos sind und lassen die 5 Tage beim Gasthof Bären mit einem
Mittagessen ausklingen.
Anmerken will ich noch, dass es natürlich nicht zu empfehlen
ist, bei solchen Bedingungen loszugehen, wohl aber versucht werden kann, wenn
sich alle einig sind. Wir sind jedenfalls dankbar, dass es gut gegangen ist.
Bericht: Gudrun Coulon